Hildebrand Gurlitt, ohne Datum 1955, Fotografie, © Koblenz, Bundesarchiv, Nachlass Cornelius Gurlitt
Provenienz und Restitution
Editorial aus ProgrammZeitung Oktoberheft 2022
23.9.2022
Sabine Knosala
Warum es wichtig ist, woher die Objekte
in den Museen kommen.
Am 15. September hat der Basler Regierungsrat wegwei-sende Entscheide zur Aufarbeitung der Herkunftsgeschichte von Kulturgütern veröffentlicht: Zwei kantonale Museen dürfen Objekte an ihre rechtmässigen Besitzer oder das Ursprungsland zurückgeben, während ein Museum beauftragt wird, eine Schenkung genauer zu prüfen. Zudem stellt der Regierungsrat ab nächstem Jahr eine Viertelmillion Franken für die Provenienzforschung bereit.
Nur einen Tag später wurde in Bern die grosse Gurlitt-Ausstellung eröffnet, die den Abschluss einer jahrelangen, internationalen Recherche markiert, bei der insgesamt 1600 Kunstwerke untersucht wurden. Weitere Ausstel-lungen mit Namen wie «Handle with care» setzen sich ebenfalls mit dieser Problematik auseinander.
Provenienz, also die Herkunft von Objekten, und Restitu-tion, gemeint ist die Rückgabe an die rechtmässigen Besitzer oder Herkunftsgesellschaften, sind also in aller Munde. Und das hat seine Gründe: Die Bestände der meisten Museen stammen aus Zeiten, in denen noch ein ganz anderes Menschenbild herrschte. Das hatte Auswir-kungen darauf, wie gesammelt wurde – sei es nun in der Archäologie, wo ganze Tempelfronten aus der Antike eingepackt und zu Hause, beispielsweise im Louvre, wieder aufgebaut wurden, sei es in der Ethnologie, wo man Gegenstände ungeachtet ihrer Bedeutung für das jeweilige Volk mitnahm oder in der modernen Kunst, wo man Werke erwarb, die den jüdischen Besitzern geraubt worden waren.
Davon ist auch die Schweiz betroffen, die offiziell stets neutral und nie eine Kolonialmacht war. Man denke nur an die Rolle der Sarasins, die zum Beispiel aus dem damaligen British Ceylon unzählige Objekte mitbrachten, die heute in den Basler Museen lagern.
Mögen diese Erwerbungen auch im rechtlichen Rahmen (eines Unrechtssystems) oder im guten Glauben geschehen sein, ethisch bleiben sie bedenklich. Gerade deshalb ist es wichtig, die Biografien und Geschichten hinter den Objekten zu erforschen und sich zu erinnern, Opfer, aber auch Täter zu benennen und historisch ins Recht zu setzen. Dabei gehört es zur Aufgabe der Museen, die eigenen Bemühungen zu kommunizieren und die Öffentlichkeit für diese komplexen Fragestellungen zu sensibiliseren, auch wenn es keine einfachen Antworten darauf gibt.
Die ProgrammZeitung widmet daher der Provenienz und Restitution in der Oktober-Ausgabe einen Schwerpunkt: Wir berichten unter anderem, welche Projekte aktuell in den Basler Museen laufen, schauen einem Provenienz-forscher im Antikenmuseum über die Schulter und stellen ein Filmprojekt eines Basler Regisseurs vor. Eine Zusam-menstellung der momentan wichtigsten Provenienz-ausstellungen schweizweit und in Südbaden rundet das Themenpaket ab.
Kinder und Ukraine.
Ein weiterer Fokus in dieser Ausgabe ist der Literatur für Kinder gewidmet: Die ProgrammZeitung präsentiert Neuerscheinungen für junge Leseratten – von Gedichten über ein Fachbuch bis zu einem SJW-Heft. Dabei kommt auch ein Kind selbst zu Wort.
Apropos: Die Baslerin Judith Schifferle ist an ein Lyrik-treffen in der Ukraine gereist. Für die ProgrammZeitung öffnet sie ihr Tagebuch.
Nun wünsche ich Ihnen viel Spass beim Eintauchen
in diese vielfältigen Themengebiete!