Filmbild aus «Apenas el sol», Foto: © cineworx
ProgrammZeitung aus dem Novemberheft 2021, S. 9
Zeitzeugen einer untergehenden Kultur
Sabine Knosala
«Apenas el sol» erzählt vom Leben der
Indigenen in Paraguay.
Ein Mann geht durch eine trostlose Siedlung irgendwo im Nirgendwo. Jeder seiner Schritte wirbelt Staub auf, so trocken ist der Boden, denn die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel herunter. «Apenas el sol» («Nichts als die Sonne») heisst der neue Dokumentarfilm von Regisseurin Arami Ullón, die uns damit keine leichte Kost auftischt: Unermüdlich durchquert der Ayoreo Mateo Sobode Chiqueño in Paraguay mit seinem Kassettenrecorder die karge Landschaft, um die Erinnerungen, Geschichten und Gesänge seines Volkes für die Nachwelt aufzuzeichnen. Der Grund: Die Ayoreo wurden von weissen Missionaren gewaltsam aus ihrer Heimat, dem Trockenwald, herausgeholt und leben nun in einer Zwischenwelt ohne Perspektiven.
Was wie längst vergangen klingt, ereignet sich bis heute. Umso schockierender sind denn auch die Aussagen der Ayoreo, die erzählen, wie sie zwangsumgesiedelt wurden: Einige wurden erschossen oder gefesselt, weitere mit Brötchen, Spiegeln et cetera angelockt, andere als Spurensucher angeheuert, die für einen Lohn von sieben Cent ihr Volk ausfindig machten. Durch Mateo hören wir, wie es ihnen am neuen Ort geht: Viele wurden von den Krankheiten der Weissen dahingerafft. Es herrscht chronischer Wassermangel. Die Jagd ist verboten, denn der Wald wurde unter den weissen Siedlern aufgeteilt. Die Arbeit reicht nicht zum Überleben. Die Regierung spricht daher jeder Familie für zwei Monate 65 Dollar zu, die nach Quittierung per Daumenabdruck ausbezahlt werden, denn viele Indigene sind Analphabeten.
Den neuen Glauben verinnerlicht.
Fast schon tragisch mutet an, wie durchdrungen die Ayoreo trotz allem vom neuen Glauben sind, den ihnen die Missionare gebracht haben: Zutiefst überzeugt sind sie, dass ihre alten Bräuche falsch waren, und sie wollen auch keinen Schamanismus praktizieren, aus Angst, ihre Gemeinschaft zu gefährden. Vielen ist bewusst, dass ihr Leben früher im Wald besser war, doch sie hoffen, dass Gott ihnen ihr Leid im Himmelreich vergelten wird.
Regisseurin Arami Ullón, die in Paraguay aufgewachsen ist und heute teils in Basel, teils in ihrer alten Heimat lebt, kommt in ihrem Dokumentarfilm ohne Special Effects aus. Vielmehr gibt die 43-Jährige den Worten der Ayoreo den nötigen Raum. Begleitet werden deren Statements von ruhigen, ästhetischen Bildern, welche die triste Lebensrealität der Indigenen illustrieren. Kurz gesagt: Ullón hat mit ihrem Film ein wichtiges Zeitdokument geschaffen, das aufrüttelt und ein Thema publik macht, das von den Verantwortlichen nur allzu gerne unter den Teppich gekehrt wird.
«Apenas el sol»: Di 16.11., 18.30, Spezial-Aufführung und Gespräch mit Regisseurin Arami Ullón, ab Do 25.11. regulär in den Kultkinos Basel, www.kultkino.ch