Neben mir sind auch andere Besuchende mit «Pissarro Sounds» unterwegs, Foto Sabine Knosala
ProgrammZeitung aus dem Januarheft 2022, S. 24
Wenn Sound auf Kunst trifft
Sabine Knosala
Mit den «Pissarro Sounds» kann man die Ausstellung «Camille Pissarro» im Kunstmuseum Basel auditiv erleben, ohne ein Gerät bedienen zu müssen. Doch funktioniert das wirklich? Die ProgrammZeitung hat den Praxistest gemacht.
Ein Dienstag im Dezember: Ich besuche die «Camille Pissarro»-Ausstellung im Kunstmuseum Basel. Das Ziel: ausprobieren, wie das Hörerlebnis «Pissarro Sounds», kreiert von der Hochschule für Musik, in der Praxis funktioniert. Etwa in der Hälfte des Rundgangs, bei den Wänden zur Pissarros Biografie, treffe ich auf die Ausleihstation, wo man mir ein schwarzes, Smartphone-ähnliches Gerät plus Kopfhörer aushändigt.
Automatisch Text und Geräusche hören.
Ich muss mich auf einen schwarzen Punkt stellen und mit den Augen einen grünen Punkt auf einer Tafel fixieren, damit sich das Gerät einstellen kann. Jetzt kann ich mich frei von Raum zu Raum bewegen. Text und Geräusche sollten durch meine Bewegungen automatisch ausgelöst werden.
Und schon geht es los: Im nächsten Saal sind Bilder vom Landleben des Künstlers in Éragny-sur-Epte zu sehen. Parallel dazu hört man Geräusche wie Kirchenglocken und Vogelgezwitscher. Es folgen Zitate von Camille Pissarro – beispielsweise wie er sich bei seinem Sohn Lucien über zu wenige Briefe beklagt. Der Zusammenhang mit den ausgestellten Bildern wird aber nicht klar.
Als ich den nächsten Raum betrete, der den verschiedenen künstlerischen Techniken des Neoimpressionisten gewidmet ist, überlagern sich mehrere Erzähler, ich kann leider nichts verstehen. Als ich vor dem Pastell «Drei Studien einer Frau beim Anziehen» von 1895/1900 halte, berichtet eine Stimme, dass Pissarro oft wenig Geld hatte, um seine Modelle zu bezahlen. Darum verwendete er Studien mehrfach. Aber wer redet da? Als ich länger stehen bleibe, fängt der Text wieder von vorne an. Es ist Museumsdirektor Josef Helfenstein.
Zwei weitere Bildbesprechungen von Museumsmitarbei-tenden folgen: Zur «Studie zu ‹Die Insel Lacroix›, Rouen» von 1883 erklärt eine Dame vom Besucherdienst, dass auf der Kohlezeichnung eine Péniche zu sehen ist, ein Kanalschiff, das kurz zuvor eingeführt worden ist und unter anderem von Kindern, Frauen oder Maultieren gezogen wurde. Zudem bespricht jemand von der Telefonzentrale die Radierung «Kirche und Bauernhof in Éragny» von 1890.
Nach einem Saal, wo Menschen auf dem Land abgebildet sind, folgt der letzte Raum der Ausstellung. Hier werden Stadt- und Hafenansichten aus Pissarros letzter und kommerziell erfolgreichster Schaffensphase gezeigt: Man hört unter anderem das Meeresrauschen von Le Havre, und Pissarro zählt auf, wo er wie viele Bilder gemalt hat.
Fazit: Noch funktioniert nicht alles wie geplant. Trotzdem sind die «Pissarro Sounds» eine Bereicherung für einen Ausstellungs-besuch. Darum einfach mal ausleihen!
«Camille Pissarro. Das Atelier der Moderne»: bis So 23.1., Kunstmuseum Basel, Neubau, www.kunstmuseumbasel.ch
Die Kopfhörer für «Pissarro Sounds» können in der Hälfte des Rundgangs gratis ausgeliehen werden.
«Pissarro Sounds»: Das ist die Technologie dahinter
Das Hörerlebnis «Pissarro Sounds» ist vom Künstler Moritz Fehr (geboren 1981, Berlin) im Rahmen des Innosuisse Forschungsprojektes Immersive Audio Guiding System erschaffen worden, an dem die Hochschule für Musik der Fachhochschule Nordwestschweiz, iart Studio für mediale Architekturen und Idee und Klang Audio Design beteiligt waren.
Die Grundlage bildet ein interaktives 3-D-Modell, in dem eine exakte Kopie der Ausstellungsräume hinterlegt ist. Vergleichbar mit einem Computergame, sind hier ver-schiedene Objekte, Sounds, Interaktionen und Trigger-zonen verortet. Ein hochpräzises Location Tracking, das
auf Ultra-Breitband-Technologie basiert und sich in den Kopfhörern befindet, erfasst die Bewegung der Besuchen-den in Echtzeit und überträgt ihre Position ins 3-D-Modell. Dank einem speziellen Imu-Sensor (inertial measurement unit) weiss das System sogar, in welche Richtung sie schauen. In der sogenannten Binaural-Synthese werden zudem die Eigenschaften des menschlichen Ohres und akustische Raumeigenschaften miteinbezogen. So entstehen die Klangräume in dem Moment, in dem die Besuchenden sich durch die Ausstellung bewegen.