Foto von Peter Stackpole für einen Artikel über «Throwaway Living», veröffentlicht in der Zeitschrift Life, 1. August 1955,
© Getty/Foto: Peter Stackpole
ProgrammZeitung aus dem Märzheft 2022, S. 20
Eine Kulturgeschichte des Plastiks
Annette Mahro
Hochgeschätzt, höchstumstritten und nicht mehr wegzudenken: Das Weiler Vitra Design Museum widmet sich dem kontroversen Material Plastik.
Vom Bakelitradio über Kultspielzeug bis hin zu den massiven Umweltproblemen der Gegenwart reicht das Spektrum der gut 300 Exponate umfassenden Ausstellung «Plastik. Die Welt neu denken». Man wolle das Thema kritisch beleuchten, sagt Co-Kuratorin Mea Hoffmann, aber auch «eine Art von Kulturgeschichte des Materials» zeichnen. Zu sehen sind unter anderem elektronische Geräte der ersten Generation aus dem von Leo Baekeland 1907 erfundenen ersten vollsynthetischen Kunststoff, aber auch das erste
Barbie-Puppenpaar (1959) oder das Radio Toot-a-Loop» (1971), das sich als Kunststoffarmreif tragen liess. Die dreiteilige Ausstellung beginnt mit einer Filminstallation, die sich einer berauschenden Natur, aber auch den für sie verheerenden Nebenwirkungen widmet, die sich aus Produktion und Nutzung von Plastik ergeben. Erinnert wird an 200 Millionen Jahre, in denen die fossilen Rohstoffe Kohle und Öl als Grundlage aller synthetischen Kunststoffe entstanden. Weiter geht es mit wenig mehr als einem Jahrhundert, in dem auf billiges Plastik die entsprechende Wegwerfmentalität mit ihren bekannten Auswirkungen folgte.
Im zweiten Ausstellungsteil wird die Geschichte des Materials dargestellt, das sich einst Designern und Produktentwicklern als Verheissung dargestellt und vieles erschwinglich gemacht hatte, das zuvor nur wenigen vorbehalten war. Ersatzstoffe hatte es schon früher gegeben, so etwa das 1869 in den USA entwickelte Zelluloid, das die zuvor elfenbeinernen Billardkugeln ablösen sollte und bald weitere Anwendungen fand. Zum «Material der unbegrenzten Möglichkeiten» wurde dann aber erst Bakelit. Ab den 1920er Jahren drängte die petrochemische Industrie in die Erfinderrolle, bevor der Zweite Weltkrieg unter anderem mit Nylon für Fallschirme weiteren Entwicklungen den Weg bereitete.
Nylonstrümpfe und Lego.
In den USA revolutionierte der 1940 auf den Markt gebrachte Nylonstrumpf Schönheit und Mode. Andere Errungenschaften, etwa das bügelfreie Nyltest-Hemd aus den 1950er und 1960er Jahren, verschwanden glücklicherweise wieder. Bis heute begeistern dagegen Lego-Bausteine des dänischen Herstellers, der 1949 erstmals mit dem Klassiker aufwartete. Nachhaltig veränderte Plastik selbstverständlich auch das Möbeldesign. Anders als bei Vitra zu erwarten, stehen Stühle diesmal aber nicht im Zentrum. Die Klassiker von George Nelson und Verner Panton fehlen sogar ganz.
Mikroplastik in Meeren, Böden und Lebewesen, unablässig wachsende Müllberge, massive ökologische Schäden und die Frage, was man tun kann, bestimmen den dritten Ausstellungsteil. Vorgestellt werden hier Projekte wie etwa das 2013 gestartete «The Ocean Cleanup», aber auch Möbel aus recycliertem Material und solche, die von ihrem Hersteller nach Gebrauch zurückgenommen, repariert oder wiederverwertet werden.
«Plastik. Die Welt neu denken»: Sa 26.3. bis So 4.9., Mo–So 12–17 h, Charles-Eames-Weg 2, Weil am Rhein, www.design-museum.de